Die Relevanz der Bereitwilligkeit bezüglich des Fühlens
Bereitwilligkeit ist ein entscheidender interner Faktor für die Qualität des Resultats einer Tätigkeit. Wenn wir etwas bereitwillig tun, sind wir von der Sinnhaftigkeit der Tätigkeit überzeugt und wünschen ein gutes Ergebnis, sind also bereit und willig, Energie und Zeit zu investieren. Sie bringt uns dazu, uns einer Sache zu widmen und bei widrigen Umständen nicht klein beizugeben. Mit Bereitwilligkeit kostet jede Tätigkeit weniger Mühe. Sie bringt eine Leichtigkeit mit sich, so dass es uns sogar erscheinen mag, als vollzöge die Tätigkeit sich von selbst. Wenn wir von Herzen bereit sind, eine Aufgabe zu vollenden, lassen wir uns auch von unerwarteten Steinen im Weg nicht so einfach von dessen Beschreitung abhalten. Aber nicht nur bei Tätigkeiten spielt Bereitwilligkeit eine gewichtige Rolle. Sie ist entscheidend, wenn es darum geht, achtsam mit Gefühlen umzugehen.
Ob Gefühle bereitwillig oder mit Resistenz gefühlt werden, ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Die zweite Variante führt dazu, dass Gefühle nicht zu Ende gefühlt werden. Solche emotionalen Eindrücke bleiben in uns wirksam, ohne dass es uns bewusst sein mag. Unterdrückte und im Körper aufgestaute Gefühle wie Wut haben einen schädlichen Einfluss auf uns. Sie verhindern, dass Lebensenergie frei fließen kann wie Haarballen im Abflussrohr – ein Haar macht nicht viel aus, aber bei zu vielen Haaren kann es so weit kommen, dass gar kein Wasser mehr abfließt. Oft sind psychische Störungen darauf zurückzuführen, dass gewaltige Emotionen nicht durchgefühlt, sondern unterdrückt wurden. Dieser Prozess läuft nicht selten unbewusst ab, da die Gefühlsdissoziation vorerst hilft, unter dem vollen Gewicht eines Traumas nicht zusammenzubrechen. Doch wenn Gefühle im Garten unseres Unbewussten vergraben werden, ruhen sie dort nicht. Sie schlagen Wurzeln und wirken immer wieder in unseren Alltag auf unliebsame Weise hinein. Unserem Gesamtsystem fehlt es dann an Balance und Fluidität, da es von den Schichten blockierter beziehungsweise unterdrückter Gefühle gehemmt ist. Durch solche Blockaden unseres Energieflusses entstehen nicht nur psychische, sondern gegebenenfalls auch körperliche Krankheiten.
Wenn wir ein Gefühl zum Zeitpunkt des Auftretens bereitwillig fühlen, kann es langsam verdampfen ohne einen nachhaltigen schädlichen Einfluss auf unser System zu haben. Wir gestehen ihm den Raum zu, den es benötigt. Es wird ihn für sich beanspruchen, so lange es nötig ist und dann wird es freiwillig den Raum verlassen. Wer dafür ein Bewusstsein hat, für den ist es nicht nötig, Gefühle zu unterdrücken. Mit der bewussten Bereitwilligkeit des Fühlens geht die Endlichkeit jedes Gefühls einher. Das Unterbewusstsein hingegen kennt keine Endlichkeit und hält Unterdrücktes frisch wie am ersten Tag.
Was mit bereitwilligem Fühlen gemeint ist, kann schnell falsch verstanden werden. Es hat nichts damit zu tun, sich blind von einem Gefühl leiten zu lassen. Wer nach blinder Wut handelt und das damit rechtfertigt, dass Gefühle eben raus müssten, entspricht nicht dem hier entworfenen Paradigma der Bereitwilligkeit. Er gibt der blinden Dynamik des Gefühls das Steuer in die Hand und übernimmt nicht Verantwortung für sein Handeln. So werden keine Gefühle abgetragen, sondern eingeübt, auf dass sie sich beim nächsten Vorkommen eines Triggers verstärken. Bereitwilligkeit hat zwei essentielle Implikationen: Gewahrsein und Immanenz. Ersteres bedeutet, dass das Gefühl neutral bezeugt wird und sich das Verhalten nicht dem Gefühl unterwirft. Zweiteres meint, dass das bereitwillige Fühlen innerhalb des individuellen Systems geschieht und nicht mit Projektion nach Außen verbunden ist. Man ist sich des Gefühls gewahr, lässt im Bewusstseinsraum dessen unangenehme Qualität zu, aber leitet daraus keine weiteren Schritte ab. Wut und Furcht kann man zu Ende fühlen, ohne dass sie nach außen wirken müssen. Das soll nicht heißen, dass es nicht auch mal angemessen sein kann, beispielsweise laut zu schreien. Solch ein gesunder Schrei ist aber von beschränkter Dauer und ist nicht auf Abwertung eines Gegenübers oder gar auf einen Angriff aus. Ausnahmen bestätigen hier die Regel, denn wenn wir körperlich angegriffen werden, können wir Wut bestens nutzen, um uns mit aller Kraft zu wehren. Solch ein Fall akuter Verteidigung ist aber nicht die Regel in unserer Gesellschaft, in der unangenehme Gefühle vor allem durch gekränkte Egos evoziert werden.
Bereitwilliges Fühlen bedeutet also nicht, sich in ein Gefühl engagieren zu müssen, damit verbundenen Gedanken Glauben zu schenken oder dem Gefühl in irgendeiner Weise eine unbedingte Wahrheit zugestehen zu müssen. Es ist ein innerer psychodynamischer Prozess des Zulassens und Durchfühlens ohne zwanghafte Auswirkungen auf die Umwelt. Man könnte auch sagen, es ist ein meditatives Verfahren geschulter Achtsamkeit und Hingabe an das, was ist. Wir können es sowohl bei akuten Emotionen als auch bei chronisch wiederkehrenden Emotionen anwenden, die darauf beruhen, dass sich in der Vergangenheit das entsprechende Emotionsmuster eingeprägt hat. Meistens besteht ein Zusammenhang zwischen einem akuten Gefühlsausbruch und alten erlernten Gefühlsmustern, die auf jenen Schichten blockierter Gefühlsenergie beruhen und eruptiv ausbrechen. Wenn wir diesen Gefühlen mit bereitwilligem Fühlen begegnen, können wir die Schichten abtragen und unser Herz sukzessiv von emotionalen Altlasten befreien. Dem bereitwillig gefühlten Gefühl wird zugestanden, dass es bereits da ist und deshalb da sein darf.
Wenn wir Gefühlen stets bereitwillig begegnen, verlieren sie die Kontrolle über uns. Wer z. B. unter einer Angststörung leidet, wird vermutlich auch Angst vor der Angst entwickeln. So entsteht ein Teufelskreis, in dem sich die Angstkonditionierung verstärkt. Wenn wir die Angst bereitwillig fühlen, behalten wir trotz allen gefühlten Terrors die Oberhand. Die Angst ist dann ein körperliches Phänomen, das vom Bewusstsein neutral bezeugt werden kann, und nicht ein Despot, dem sich alles unterwerfen muss. Solange wir bestimmte Gefühle nicht wollen, gestehen wir ihnen Dominanz zu, denn sie engen uns ein, sobald sie auftreten. Gestehen wir aber jedem Gefühl einen Raum zu, bleiben wir der Hausherr und unser Gast wird nach einiger Zeit den Raum von selbst verlassen.