Robocop – Neurotischer Selbstverlust im Großen Anderen
Neben der dezidierten Kritik an der amerikanischen Kriegsführung veranschaulicht José Padilhas Robocop noch etwas anderes: Die Desintegration der imaginären Sphäre aus dem Realen und dem Symbolischen. Der Film strukturiert eine Bogenbewegung von der imaginären Einheit (in Form des familiären Zentrums) ausgehend über deren radikalen Verlust hin zu einer gemäßigten Wiedereingliederung in die Symbolische Ordnung.
Das Subjekt konstituiert sich nach Lacan innerhalb dreier Bereiche, die im Normalfall ineinander übergreifen und wechselwirken: Das Imaginäre, das Symbolische und das Reale. Löst sich ein Bereich, sind auch die anderen beiden nicht mehr kongruent, es entsteht eine psychische Pathologie, die radikaler ist als die der üblichen lediglich von einer Illusion psychischer Gesundheit überdeckten Fehlstrukturen. Eine radikale Verselbstständigung des Imaginären entspricht einem psychotischen Zustand, eine Überdeterminierung in der Symbolischen Ordnung entspricht einem neurotischen Zustand. Da die Symbolische Ordnung durch die Gesetzesordnung der Umgebung (Kultur, Arbeitsumfeld, Staat) angelegt ist, entspricht der neurotische Fall einer solchen Überdeterminierung, denn eine Neurose hat immer mit einem Zwang, einem erstarrten Gesetz zu tun. Alex wird im Film die imaginäre Sphäre, die grundlegend für Identität und Integrität des Selbstbildes ist, genommen und von erhält seine Determinierung vorerst nur noch von der Symbolischen Ordnung, sprich dem großen Anderen.
Ausgangspunkt ist eine phallische Szenerie. Wie zwischen Mutter und Kind in der dualen Beziehung der imaginäre Phallus changiert, bis sie durch das väterliche Tertiäre aufgebrochen wird, nimmt Alex‘ Schicksal seinen Ausgang in einer Liebesszene. Doch es kommt zu einer Störung, zu einem Einbruch des Mangels, einem Aufschub des Liebesaktes, der nie wieder eingeholt werden kann. Mit dem Gang zum Auto und der folgenschweren Explosion wird eine Äquivalenz zu jenem Einbruch in die duale Mutter-Kind-Bindung inszeniert, der den Mangel in die Lebenswirklichkeit des Kindes bringt und das unstillbare Begehren in Gang setzt: Die verlassene phallische Vollkommenheit, die aufgebrochene duale Harmonie, das einstige Paradies ist verloren und kann nie wieder in ursprünglicher Ganzheit hergestellt werden.
Doch in diesem Fall wird nicht der übliche Reifeprozess abgewickelt. Die traumatischen Einbrüche des Realen sind dermaßen weitreichend, dass die imaginäre Sphäre ausgeschaltet wird. Das wird dezidiert visualisiert, indem Alex‘ Traumszenario ausgeschaltet wird. Übrig bleiben nur die realen Bedingungen und die väterliche Instanz der Symbolischen Ordnung in Form Dr. Norton und OmniCorp. Das Andere des Subjekts, das gleichermaßen gesetzgebend dessen Rahmen bestimmt, nennt Lacan das Große Andere. Insofern ist Alex zwanghaft seinem Großen Anderen ausgeliefert. In der ersten Hälfte des Films hat das Große Andere keinen Mangel für Alex, es ist alles, was er hat, eine Absolutheit, die seine Existenz gewährleistet. Die Robocop-Figur steht also für das Subjekt, das unflexibel in die Ordnung des Großen Anderen integriert ist, dessen Imagination, die dessen Persönlichkeit konstituiert, abhanden ist, das gezwungen ist, die Ordnung des Großen Anderen abzuwickeln, weil es ausschließlich in deren Dienst steht. Es ist die radikale Neurose, die Zwangsstörung, die hier allegorisiert wird. Von jeder Einbildungskraft losgelöst ist das Subjekt dem Realen ausgeliefert und steht vor der Wahl: Mach, was das Große Andere fordert – oder stirb.
Die Spiegelszene zeigt, dass der Geist einerseits unabhängig vom Körper denkt, aber gleichzeitig auf den Körper angewiesen ist. Vom Körper getrennt funktioniert die Spiegelimago nicht mehr, das Subjekt verliert den Lebenssinn. Jegliche imaginär-narzisstische Inszenierung einer Ich-Autarkie ist ausgehebelt. Dementsprechend fordert Alex seinen Tod und möchte seine Familie nicht wiedersehen. Die Verbindung zur Dualität in Form der partnerschaftlichen Spiegelung ist abhanden, weil auch die körperliche Selbstspiegelung nicht mehr funktioniert. Doch Alex folgt dem Willen des Großen Anderen und ergreift seine „second chance“. Die duale Distanz wird daraufhin auch im ersten Camgespräch arrangiert: Alex sieht Clara nur auf dem Bildschirm, daneben den kläglichen Rest seines Selbstbildes. Ein Bild des Sohnes steht neben dem Bildschirm, der gesamte Hintergrund ist Dunkel. Diese Dunkelheit entspricht der imaginären Leere, die durch den Verlust der Körperimago verursacht wurde.
Interessanterweise macht der weitere Filmverlauf deutlich, dass einerseits auch das Große Andere immer von einem Mangel durchzogen ist und dass andererseits das Subjekt nicht ohne narzisstische Spiegelinstanzen, sprich imaginäre Aufwendungen, funktioniert. In diesem Sinne formuliert Norton nach dem ersten Drittel des Films: „Let’s give him a nice dream“ – ohne geht es nicht.
Nichtsdestotrotz wird vorerst Alex‘ Gefangenschaft in der Herrschaftsordnung des Großen Anderen in Szene gesetzt. Seine Verfassung als Exekutive von Zwangshandlungen wird explizit, wenn Norton formuliert: „The machine comes down, Alex is a passenger.“ Das, was Alex ist, ist nur noch eine virtuelle Ergänzung, keine primäre Grundlage: “Consciousness is nothing more than information“. Das Kind im Spiegelstadium erlangt aus der visuellen Information seine Ich-Formation, mit der es dem Großen Anderen (Mutter, Vater, Staat als Gesetzesinstanzen) fortan selbstbewusst gegenübertreten kann. Lacan sieht darin eine Entfremdung, weil das Selbstbild erst im Nachhinein aus einem externen Bild extrapoliert wird, ohne dass dieser Umstand bewusst ist, also eine Verkennung. Bei Alex ist diese wichtige Verkennung außer Kraft gesetzt. Ein zentraler Zug des Robocop-Films ist also die Offenbartheit der Entfremdung des Subjekts: „It’s the illusion of free will, […] „a machine that thinks it’s Alex Murphy.”
Doch wenn es eine Wahrheit gibt, dann die, dass das Große Andere niemals vollkommen ist. Alex‘ primärer Narzissmus behauptet sich. Statt der beauftragten Fälle beginnt er, seinen eigenen Fall zu lösen. Der imaginäre Teil des Subjekts „is overriding the systems priorities“. Im weiteren Verlauf durchbricht er die radikalneurotische Phase: Das Visier zeigt wieder ein echtes Auge als Index des Sinnes, der die Spiegelungsinformation verarbeitet. Die Verbindung zur dualen Sphäre ist im Prozess der Rekonnektierung. Sukzessiv gelangt eine Reintegration des Imaginären in die Symbolische Ordnung, zunehmend nähert er sich seiner Familie wieder an.
Interessanterweise nähern sich in diesem Sinne auch die Familie (als Symbol der lebensbejahenden Ich-Formation) und der Inbegriff des Großen Anderen (Sellars inzwischen als klarer Antagonist) lokal immer mehr einander an. Ihre Beziehung entspricht im Showdown dem Hegelschen Herr-Knecht-Verhältnis. Der eine kann nicht ohne den anderen, bezieht aus der Rolle des anderen überhaupt erst seine Position. Darum lässt Sellars die Murphys zu sich holen, obwohl er durch sie bedroht wie nie zuvor ist. Die Aufhebung der Knechtschaft kann nur durch den Tod des Herrn erfolgen. Auf dem Dach findet die Reunion, die Wiedereingliederung der dualen Sphäre der Imagination in die Symbolische Ordnung statt. Aus Alex‘ Perspektive vollzieht sich hier die Dialektik des Selbstbewusstseins, die Dialektik zwischen Ich und Anderem. Die Zwangskontrolle des Großen Anderen wird unter hohem Kraftaufwand überwunden, der Antagonist infolgedessen erschossen, so dass das Ich sich behaupten kann, wenngleich es natürlich die Präsenz des Anderen zum Akt der Selbstbehauptung benötigt.
Am Ende des Films sieht man Alex zuerst ohne den Robokörper, zum Zeichen, dass er sich aus der absoluten Gewalt des Großen Anderen gelöst hat. Bevor er sich erneut mit dem Robokörper verbindet, gibt er seine Zustimmung auf Basis seiner Gefühle. Die Imaginäre und die Symbolische Ordnung sind wieder integrativ verbunden, wenn auch durch die tragischen Bedingungen des Realen eine duale Harmonie niemals wieder vollständig hergestellt werden kann: Dies sind die Standardbedingungen des lacanschen Subjekts.
Robocop. R.: José Padilha. Vereinigte Staaten 2014.