Die Notwendigkeit von Paul Rebillots Heldenreise in einer kafkaesken Welt

Paul Rebillot (1931-2010) war ein amerikanischer Dramaturg und Psychotherapeut. Von ihm stammt das therapeutische Konzept der Heldenreise, das auf Joseph Campbells mythologischer Theorie der Heldenreise basiert und Theater und Therapie vereint. Die Heldenreise ist nicht nur ein oberflächliches Schauspiel, sondern erlaubt dem jeweiligen Helden den tiefenpsychologischen Durchlauf eines archetypischen Grundmusters. Der Teilnehmer durchläuft dabei verschiedene Stadien, die sich sowohl aus individuell imaginierten Vorstellungen als auch aus real gespielten Szenen zusammensetzen. Die Teilnehmer lernen so, mit inneren verborgenen Feindseligkeiten umzugehen und positive Selbstsicherheit zu entwickeln.

Das Motiv des Helden finden wir in allen denkbaren Medien in Hülle und Fülle. Folgendes Muster liegt diesem Archetypus üblicherweise zugrunde: Der Held sieht sich einer Aufgabe ausgesetzt, deren Ruf zu folgen in Kontrast mit der Bewahrung des alltäglichen Soziallebens steht (Harry Potter lebt ohne Wissen um seine Herkunft unter Nichtmagiern). Infolge der Unterstützung durch einen geistigen Führer, der ihm ein materielles oder ideelles Instrument der Kraft überlässt, tritt der Held seine Reise schließlich an (König Arthur erhält von Merlin das Schwert Excalibur). Der Held gelangt an eine entscheidende Schwelle, die von einem Wächter bewacht wird, der als Dämon des Widerstands klassifizierbar ist (Charon verweigert Dante die Überfahrt). Nach einer transformierenden Auseinandersetzung mit dem Wächter schreitet der Held tiefer in die unbekannte Welt des Abenteuers (Odysseus erhält von Kirke wichtige Hinweise zur Weiterreise, nachdem er seine Gefährten von ihrem Zauber befreit hat). In der größten Prüfung wird der Held schließlich mit seiner tiefsten Angst konfrontiert. Er erkennt den gegnerischen Widerstand als Teil von sich selbst („Luke, ich bin dein Vater“). Diese Einsicht und die Überwindung des monumentalen Widerstands gehen mit einer Form von Verherrlichung oder Apotheose einher (der Prinz küsst das mit königlichem Blut ausgestattete Schneewittchen). Schließlich erhält der Held ein Geschenk, das nicht unbedingt ein Gegenstand sein muss, sondern ein ideeller Schatz der Heilung oder Bewusstseinserweiterung sein kann (Frodo Beutlin erhält das Rote Buch der Westmark, Dornröschen erhält einen Kuss). Wenn der Held wieder in die Alltagswelt zurückkehrt, muss er eventuell die magischen Aspekte seiner Reise an ihrer Eingangsschwelle zurücklassen, weil die formalen Anforderungen der Alltagswelt nicht den inneren Anforderungen des Abenteuers entsprechen (Superman ist im Büro Clark Kent). Auch die Alltagswelt ist jedoch verwandelt, da der Held sich erfolgreich dem Abenteuer gestellt hat und zu einer neuen inneren Freiheit gekommen ist.

Dieser Archetypus ist dermaßen essentiell, dass viele Narrationen sich damit begnügen, sich lediglich einem Teilaspekt zu widmen. Der Protagonist in Kafkas Türhüterparabel versucht vergeblich, den Dämon des Widerstands zu überwinden. Er bleibt vor dem Wächter stehen und wartet lebenslang vergeblich auf den Einlass. Kurz vor seinem Tod fragt er, warum niemand sonst um Einlass gebeten habe, woraufhin der Türhüter entgegnet, der Eingang sei nur für ihn bestimmt gewesen. So wird auch ihm der Selbstbezug der Auseinandersetzung enthüllt, jedoch übertritt er nie die Schwelle, hinter der er zu neuen Einsichten gelangen könnte. Die Tür wird mit seinem Tode geschlossen. Dies mag exemplarisch für den spätmodernen Menschen sein, der den unmittelbaren Bezug zu jenem verloren hat, was nicht rationalisierbar ist. Er verspürt einen großen Unmut, die Lösung dieses Problems enthält sich ihm jedoch. Sein Denkparadigma selbst ist die verschlossene Tür zu einer inneren Welt, die nur subjektiv erfahren werden kann und sich einem alternativlosen Rationalismus enthält. Indem er einerseits zu einer Lösung seiner leidvollen Konflikte strebt, andererseits dem kategorialen Effizienzdenken nicht entsteigt, bleibt er sein eigener Türhüter. Zwar wittert er intuitiv eine innere magische Welt, insbesondere auf der Basis der Erfahrung von Liebe, aber faktisch inspiziert er sie nicht.

Gottseidank gibt es natürlich auch heutzutage eine zumindest partiell genutzte Palette an Möglichkeiten, diesem Dilemma entgegenzuwirken, beispielsweise durch Meditation. Wenn wir den Zustand der Erde beziehungsweise die unheilvolle Bedrohung der Lebensbedingungen betrachten, müssen wir jedoch feststellen, dass weit mehr Transformation notwendig ist, als der derzeitige Stand aufweist. Viele Menschen stagnieren an der Schwelle zur potentiellen Heldenreise. Vielen Menschen fehlt die Verbindung zu inneren Welten, weil ihre Konzentration der materiellen Form gilt. Die Gier nach der Zahl in der Außenwelt lenkt ab von dem innerweltlich situierten Potential der Gnade. Es gibt keinen Unterschied zwischen dem Dämon des Widerstands und der menschlichen Arroganz, Verhaftung in konditionierten Gedanken und unbewussten Gefühlsstauungen. Die Angst, nicht genug Geld zu haben, nicht effizient genug zu sein, hemmt wahres Wachstum. Man betrachtet die Konflikte der eigenen Tiefenstruktur nicht und projiziert sie infolgedessen auf und in seinen Kontext. Wut wird als etwas interpretiert, das ein Gegenüber in uns verursacht, nicht als ein immanentes Attribut, dessen Spiegelfläche unbewusst ein Gegenüber ist. Wir sind nicht in eine Welt der Umweltverschmutzung, der Kriege und des Egoismus geworfen. Diese Umstände sind ein Spiegel unserer Psyche, deren unbewussten Inhalten wir uns nicht heldenhaft stellen. Anstatt ein geistiges Instrument der Kraft zu suchen, suchen viele Menschen geistarme Zerstreuung oder die Abfuhr negativer Emotionen durch destruktives Aufbegehren. Durch die Abkehr von der Magie der imaginativen Subjektivität wird der Geistführer vorenthalten, der jedoch so wichtig ist, um die inneren Konflikte zu transzendieren. Transzendenz bedeutet die Aufhebung egoistischen Denkens zugunsten eines universalen Mitgefühls: Tod und Wiedergeburt. Rebillots Heldenreise, die in einem Imaginationsspiel sowohl den Körper und das individuelle Unbewusste mit dem transpersonalen Phänomen des Archetypus zusammenbringt, hat eben deswegen so eine heilsame Kraft, weil sie diese positive Magie, den Blick für das Mysterium des Seins und die damit verbundene Freiheit eines transpersonalen Selbstverständnisses, neu entfacht. Die Menschheit ist eine verirrte Märchenfigur, die ihr königliches Blut erkennen muss.

 

Campbell, Joseph: Der Heros in tausend Gestalten.

Rebillot, Paul:Die Heldenreise: das Abenteuer der kreativen Selbsterfahrung.

 

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