Fight Club: Leiden als Voraussetzung einer Progression
Wie so oft hat Slavoj Žižek Recht, wenn er sagt, dass das eigentliche Thema von Fight Club nicht widerständische Gewaltbereitschaft ist, sondern die Tatsache, dass man leiden muss, um zu Bewusstheit und Freiheit zu gelangen. Freiheit im späten Kapitalismus bedeutet zuallererst, sich selbst das zu nehmen, was der Freiheit im Weg steht („Erst nachdem wir alles verloren haben, haben wir die Freiheit, alles zu tun“). Man muss der ideologischen Akkumulation entbehren können und sich nicht über den materiellen Besitz definieren. Der Besitz war das Selbst des Protagonisten, darum musste er ihn in die Luft sprengen, um sein soziales wie ideelles Ich reformieren zu können.
Der Fight Club ist das Innere des Menschen, der in der spätkapitalistischen Welt seine Maske des hyperagilen Konsums streng bewahrt. Darum verhalten sich die Mitglieder außerhalb des Fight Clubs nie wie im Fight Club: „Even if I could tell someone they had a good fight, I wouldn’t be talking to the same man.” Psychische Emanzipation heißt, vor allem erstmal zu leiden und innere Kämpfe auszustehen, die nicht ausbleiben, wenn es darum geht, sich von entfremdenden Herrensignifikanten im Selbstentwurf zu befreien. Sie bedeutet auch das Erlernen von Demut: „Zuerst musst du wissen, dass du einmal sterben wirst“, sagt Tyler, während er dem Protagonisten die Hand verätzt. Nur unter Todesdrohung fängt Raymond an, das zu tun, was er wirklich will. Das Wissen um die Sterblichkeit ist genau das, was der narzisstische Konsumismus ausblendet. Wer um seine Sterblichkeit weiß, ist sich den Grundbedingungen seines Seins bewusster.
Der Protagonist ist zunächst ein passiver Konsument, der infolge seiner inneren Leere sogar Selbsthilfegruppen nicht der Selbsthilfe wegen aufsucht, sondern zum Zwecke des Konsums. Die Ideologie des Konsums verspricht, dass man nur genug akkumulieren muss, um schlussendlich den Zustand der Glückseligkeit zu erreichen. Doch diese Jagd nach einem materiellen Objekt des Begehrens ist nicht weniger endlos als die nach einem ideellen, weil das materielle Ziel auf einem ideellen Auslöser beruht. Eben aufgrund dieser Suche des Ideellen im Materiellen ist das konsumistische Streben ein Griff nach dem Spiegelbild im Wasser. Weiser ist es, den impliziten Mangel des Lebens von vornherein anzuerkennen („Sogar die Mona Lisa verfällt“). Diese Rolle kommt Tyler zu und zwischen diesen beiden Polen oszilliert die Psyche des Protagonisten. Es ist das rationalistische „Das ist doch verrückt“ gegen das untrüglichere „Dann sei verrückt“, wie es die beiden vor ihrer ersten Schlägerei formulieren. In der Kneipe sagt Tyler: „Alles, was du hast, hat irgendwann dich.“ Das Subjekt konstituiert sich hier wie bei Jacques Lacan über das Andere. Es besitzt nicht, sondern gründet sich über das Geglaubte, was es zu besitzen meint. Im Rahmen der kapitalistischen Ideologiekritik bedeutet das, dass sich aus der Entledigung des Besitzes heraus überhaupt erstmal eine neue Ich-Formation bilden muss. Und in diesem Sinne sagt Tyler später „Du bist nicht das Auto, das du fährst, oder das Geld auf deinem Konto“ und fügt hinzu: „Du bist der singende, tanzende Abschaum der Welt.“ Das entspricht ganz Nietzsches Verwendung des Tanz-Begriffs. In Also sprach Zarathustra ist der Tanz das Symbol für das Erreichen des Ziels, sich von allen Dogmatiken und versklavenden Moralen befreit zu haben. Nur über das Chaos kann ein tanzender Stern, wie es bei Nietzsche heißt, geboren werden, und nur über das Chaos gelingt dem Protagonisten seine psychische und gesellschaftliche Emanzipation. Dieser Emanzipation entspricht die Raumsymbolik: Die alte Wohnung fliegt in die Luft, danach haust er in einem heruntergekommenem Drecksloch (das Haus als klassische Metapher für die Seele), das auch auf die psychische Spaltung hindeutet: „Nichts funktionierte, wenn man eine Lampe anschaltete, ging eine andere aus“. Am Ende des Films blickt der Protagonist schwer verletzt und dennoch souverän auf die einstürzenden kapitalistischen Bauten.
Der Film ist mit vielen Anspielungen auf diese Umstände gespickt.
- So wie der Aspirant drei Tage aushalten muss, während er ständig Zurückweisungen zu hören bekommt, um aufgenommen zu werden, so muss auch im Kampf gegen das kapitalistische System trotz aller harten Rückschläge durchgehalten werden.
- Nachdem Tyler in seiner Rede konstatiert, dass der Krieg dieser Generation ein spiritueller sei, kommt der Ladenbesitzer als Repräsentant des kapitalistischen Besitzsystems herein und bedroht den Club. Tyler ist bereit, sämtliches Leid auf sich zu nehmen, er kämpft für seine spirituelle Freiheit – und bekommt den Keller zugesprochen, das Leid hat sich gelohnt. Natürlich bietet er dem Besitzer ebenfalls an, in den Fight Club einzusteigen und damit aus dem kapitalistischen Besitzsystem auszusteigen.
- Die ideologischen „Alles ist safe“-Bildchen im Flugzeug werden zu Zeichen der realen Härte, indem sie schlussendlich Unsicherheit und Bedrohung signalisieren.
- Ganz im Sinne des Ausrufs „Hände aufs Lenkrad“ will der Durchschnittsbürger sein Leben kontrollieren können und dessen Sicherheit garantiert haben – es geht um Lebensversicherungen und einen festen Arbeitsplatz. Doch letztendlich ist genau dieses als alternativlos empfundene Sicherheitsbedürfnis eine latente Versklavung. Aus diesem Grund fordert Tyler den Protagonisten auf, er solle das Lenkrad loslassen.
- Außerdem: Beim Umsturz des kapitalistischen Systems ist es ungemein wichtig, die Menschen als einzelne wertzuschätzen, denn sie sind diejenigen, die aus der Versklavung befreit werden sollen. Darum kann es nicht sein, dass es im „Projekt Chaos“ keine Namen gibt – Bob hat einen Namen.
Und schließlich bleibt noch die Relevanz der Einbildungskraft zu bemerken: Wie sehr wir von unserer Imagination abhängen, wird deutlich, wenn wir bedenken, dass Tyler imaginiert wird, damit der Erzähler sein Selbst progressiv gestalten kann.
Fight Club. R.: David Fincher. Vereinigte Staaten/Deutschland 1999.
Die beste Interpretation des Films die ich bis jetzt gelesen habe.