Breaking Bad: Narrationsinterne Spiegelungen
Im Unterschied zu vielen US-Serien, die ihre Handlung lediglich mit repetitivem Humor (Monk) oder viel Lärm um Wenig (The Blacklist) ausgestalten, beherrscht Breaking Bad verschiedene narrative Kniffe. Einen möchte ich als narrationsinterne Spiegelung bezeichnen: Die Art der Erzählung spiegelt den Inhalt der Erzählung. Das können bestimmte Kameraeinstellungen sein oder Elemente, die in die Handlung integriert wurden, ohne für jene eine relevante Funktion zu erfüllen. Erst auf der symbolischen Ebene wird die Funktion offenbar, nämlich als ornamentaler Signifikant des Plots zu dienen. Ein paar Beispiele:
Die Eingangsszene der Pilotfolge ist nicht nur eine Prolepse der ersten Staffel, sondern stellt alle für die gesamte Serienhandlung ausschlaggebenden Umstände vor.
1. Walter wird vom rechten Weg abkommen („Breaking Bad“): Das Wohnmobil (ein vorrangig gutbürgerliches Urlaubsauto) kommt von der Straße ab und crasht.
2. Walter wird alles verlieren: Es ist fast nackt mit Atemmaske, gestikuliert verzweifelt.
3. Die DEA/Hank ist Walter stets auf den Versen: Man hört aus der Ferne die Polizeisirenen.
4. Walter wird sich in der Drogenkriminalität behaupten: Ein Standbild zeigt den Boden des Wohnmobils (sozusagen den Bodensatz der Gesellschaft): Tote, Waffen, Geld, Chemikalien, Walter bemächtigt sich der Pistole.
5. Walters wird seine Familie stets lieben: Er spricht zu Skyler und Walter Jr. in eine Kamera. Die Aussage, er habe „immer nur an sie gedacht“ wird sich wie ein Refrain durch die gesamte Serie ziehen, bis sie in erst in der letzten Folge relativiert wird. Durch die Wackelkameraperspektive kommt es zur personalen Fokalisierung: Die Distanz zwischen Walter und dem Zuschauer ist aufgehoben, so wie Walters Liebe zu seiner Familie nicht von seinen sonst vorherrschenden kühlen Berechnungen durchbrochen ist.
6. Walter wird bewusst töten: Das wird durch seine geradlinige Positionierung auf der Straße bei konzentriertem Blick mit erhobener Waffe im Vordergrund inszeniert.
7. Walter wird überlegen und mächtig sein: Die Unterperspektive der Szene kennzeichnet genau dieses.
In S02E13 („ABQ“) hält Hank eine Besprechung der DEA ab. Es geht darum, dass sie „diesen Heisenberg“ unbedingt finden wollen, weil überall das blaue Meth auftaucht. Insofern kursiert Walter im Raum. Gleichzeitig kursiert während dieser Besprechung ein Spendensammelbehälter für Walter (also für „Heisenberg“) mit dessen Bild im Raum. Dieser Spendensammelbehälter hat einen blauen Rand. Die Verknüpfung von Walter und ihn betreffenden Finanzen wird auf zwei verschiedenen Ebenen parallel verhandelt. Das gemeinsame Sem „blau“ wiederum verknüpft beide Ebenen. Betont wird dieser Umstand durch die Kameraeinstellung, die jenes Foto von Walter direkt unter der „Wanted“-Schrift an der DEA-Wand positioniert – dicht gefolgt von Hanks Aussage “Er ist ein guter Mann“. Im Gegensatz zur klassischen Detektivstruktur weiß der Zuschauer mehr als der Ermittelnde, so dass er die absurde Doppeldeutigkeit der Situation mit Überlegenheit genießen kann. Später wirft übrigens auch Gus Geld in den Spendenbehälter, so wie er auch anderweitig in Walter investiert.
Das wird ihm bekanntlich zum Verhängnis. Die Klingel ist über etliche Folgen das einzige Artikulationsinstrument Héctors. Doch dieser Signifikant ist in S04E13 entscheidend für Gus‘ Tod und der Weichensteller zum weiteren Ausgang der Serie. Die Manipulation des Signifikanten geschah durch Walter. Insofern trägt Walter Züge des lacanschen Realen. Er traumatisiert und erschüttert destabilisierend die Struktur der symbolischen Ordnung, an ihm arbeiten sich alle ab. Nach der Explosion tritt Gus‘ einige Schritte aus dem Zimmer hinaus und rückt sich die Krawatte zurecht. Der Zuschauer ist geschockt anlässlich dieser vermeintlich übernatürlichen Kräfte einer Figur, die im Unterschied zur zweiten Staffel in den letzten Folgen der dritten Staffel als enorm bösartig inszeniert wurde (Kindesmord) und nun nicht mehr kleinzukriegen scheint. Gus ist als Spiegelfigur zu Walter angelegt. Auch Walter hat immerhin in Kauf genommen, ein Kind eventuell forciert zu töten. Außerdem ist der regelmäßige Treffpunkt der beiden die Los Pollos Hermanos-Filiale, hermanos bedeutet auf Spanisch Brüder. Und so sieht man nach einem Kameraschwenk gewissermaßen Gus‘ wahres Gesicht. Unter dem Saubermannimage steckt der Tod, wie es auch bei Walter der Fall ist. Die Folge heißt Face off. Es gibt kein verborgenes, wahres Ideal unter der Oberfläche, nur Leben oder Tod (Walter sagt im Finale, er habe so gehandelt, um sich lebendig zu fühlen). Dementsprechend symbolisiert z. B. der in Staffel 2 kontinuierlich proleptisch eingeblendete Teddy nicht die nahende Katastrophe. Er ist für den Zuschauer absolut undeutbar und kein Hinweis auf eine verborgene Wahrheit. Vielmehr zeigt sich in diesen semantisch leeren Bildern der Riss im Sein, der Sinnverlust, den die Figuren erfahren.
Die dissonante Struktur der angeschlagenen Beziehung von Walter und Skyler ist in einer Tischszene vorzüglich arrangiert. In S03E05 („Mas“) sitzen Walter, Walter Jr. und Skyler inklusive Kinderwagen gemeinsam am Esstisch. Walter Jr. als verbindendes Glied sitzt zwischen Skyler und Walter führt das Gespräch und blickt abwechselnd nach links und rechts. Noch ausschlaggebender ist aber die Kameraperspektive: Walter ist durch einen Balken des Hauses, der vertikal durch das gesamte Bild verläuft, von beiden getrennt. Als Jr. den Raum verlässt, bewegt sich die Kamera leicht, so dass der immense Balken in der Mitte des Bildes ist und Walter und Skyler sich wie in zwei separaten Räumen gegenübersitzen. Dass es dennoch nur ein Raum ist, zeigt der Kinderwagen, denn der steht ebenfalls in der Mitte und ist auf beiden Seiten zu sehen. Nach einem Schuss-Gegenschuss-Bildwechsel – wohlgemerkt ohne dass sich die beiden gleichzeitig angucken oder ein Wort wechseln – ertönt ein Laut des Babys, woraufhin beide ihren Blick auf den Kinderwagen richten. Infolgedessen kommt es zum Blickkontakt zwischen Skyler und Walter und der öffnenden Frage: „Willst du sie nehmen?“, die von einem nicht weniger offenen „Ja“ beantwortet wird. Wenn Walter nun das die beiden nach wie vor verbindende Baby auf den Arm nimmt, wird die Kameraeinstellung des trennenden Balkens aufgehoben. Wir sehen Walter von vorne mit dem Baby im Arm, während Skyler im Hintergrund den Raum verlässt, was Walter bei betroffenem Blick erst nachträglich bemerkt. Eine weitere Balkenszene gibt es im Serienfinale. Skyler sitzt am Tisch und Walter steht vor ihr. Die beiden sprechen miteinander und sind zuweilen gemeinsam im Bild zu sehen. Doch während Walter von ihr einfordert, ihn zu verstehen, sind beide durch einen mittigen vertikalen Balken getrennt. Die unterschiedliche Körperhaltung bei aufeinander gerichteten Blicken unterstreicht die Assoziation der Differenz sowie Differenz der Assoziation.
Selbst das Pseudonym „Heisenberg“ spiegelt eine inhaltliche Komponente, stammt doch von Werner Heisenberg die berühmte Heisenbergsche Unschärferelation. Sie besagt, dass zwei sich ergänzende Eigenschaften (beispielsweise Impuls und Ort) eines Teilchens nicht gleichzeitig exakt bestimmt werden können. Gleiches gilt für die Figuren im Film, auch sie bleiben unscharf. Eine eindeutige Kategorisierung von Freund und Feind, Gewinner und Verlierer, Intention und Zufall ist bei den Hauptcharakteren nicht möglich. Diese Aspekte changieren und interagieren kontinuierlich untereinander, so dass eine eindeutig einstufende Charakterbestimmung ausbleiben muss. Die Liebe zu seiner Familie verknüpft Walter mit Egoismus und Mord. Die mit Liebe seiner Enkelin geschenkten und angenommenen Luftballons in S03E13 benutzt Mike, um die Telefonleitung lahmzulegen und infolgedessen einige Menschen zu töten. Auch einige Episodentitel sind komplementär, aber nicht gleichzeitig bestimmbar: No Mas und Mas oder Half Measure und Full Measure (in der deutschen Übersetzung Halbe Sachen und Nägel mit Köpfen). In dem Maße, in dem die Messung der Position eines Teilchens verbessert wird, verschwimmt die Kenntnis über dessen Impuls. In dem Maße, in dem eine Figur ausführlich analysiert wird, verschwimmt die Möglichkeit ihrer moralischen Kategorisierung. Walter White hat eben keine weiße Weste, sondern einen schwarzen Hut.
Interessante Einsichten 🙂