Another Earth: Vergebungsbegehren als Gravitationsfeld

Die Erde zieht in Another Earth eine vermeintliche Kopie ihresgleichen an. Äquivalent gilt die Gravitation des Films dem Beweggrund der Vergebung. Die Protagonistin Rhoda Williams verursacht einen Autounfall mit tödlichem Ausgang, der ein ganzes Familienleben beendet. Der einstige Professor und Familienvater John Burroughs liegt lange Zeit im Koma und vegetiert danach depressiv und alkoholkrank vor sich hin. Williams fühlt sich nach offiziell verbüßter Strafe innerlich kalt und derealisiert und legt sich in die eiskalte Nacht um zu sterben. Ihr interner Zustand wird unmittelbar mit der kontextualen Konfiguration des Plots in Einklang gebracht. Das Säubern der Schule (sie übernimmt einen Job als Putzkraft) repräsentiert den Versuch, der Vergangenheit zu entkommen. Das Vergangene soll ungeschehen gemacht, gereinigt werden.

Dieser Wunsch spiegelt sich nicht nur in ihrer Tätigkeit als Putzkraft, sondern auch in dem Verhalten ihres Putzkollegen Purdeep. Diese Spiegelfigur schüttet Bleiche in ihre Augen und Ohren, um sich selbst nicht mehr erfahren zu müssen. Noch eindrücklicher wird dies zur leitmotivischen Metapher, wenn Williams unter falschen Vorwand beginnt, regelmäßig das Haus des Professors zu reinigen. Dies alles ist Symbolik des Bemühens eines aktiven Herstellens von Vergebung durch denjenigen, der Schuld fühlt. Dieses Bemühen ist aber zum Scheitern verurteilt, weil das Vergangene uneinholbar und nicht zu reinigen ist und nur in der Gegenwart neu konfiguriert werden kann. Man muss sich dem Alten stellen und es akzeptieren, um die Zukunft neu zu konfigurieren. Deshalb schreibt Williams am Krankenbett von Purdeep „FORGIVE“ in seine Hand. Und so muss Williams gegen Ende ihre wahre Identität gegenüber Burroughs gestehen – Ergebung als der einzige Akt, der zu Vergebung führen kann.

Die andere Erde repräsentiert die ständige Möglichkeit eines Neuanfangs. Die Depression, dass man aus dem Gefängnis der Vergangenheit nicht ausbrechen kann, wird von der neuen Erde aufgehoben. Sie zeigt einerseits, dass man nicht alleine ist mit seinem Schicksal, dass man nicht der alleinige Verdammte ist, als den sich ein Depressiver fühlt. Wenn ein anderer Mensch dasselbe Schicksal erlebt hat, ist das Schuldempfinden relativ, die Verdammung nicht mehr absolut, weil die vermeintliche Singularität der Schuld aufgehoben ist. Die neue Erde verdeutlicht, dass egal wie verdammt, verbannt, verloren man sich aufgrund der vermeintlichen Schuld fühlt, man nicht alleine ist: Eine exakte Kopie hat erbaulicherweise das Gleiche erlebt. Zu wissen, dass ein anderer das gleiche Schicksal teilt, schwächt ein Schuldgefühl. Vom Grund des Seins aus betrachtet ist alles (jedes Phänomen, jedes Lebewesen) die gleiche Version des Einen in einer anderen Form. Dieser Umstand wird durch die andere Erde zur Konkretheit. Durch den Umstand, den die Broken Mirror Theory ausdrückt, nämlich dass durch die Begegnung der beiden Erden ihre exakte Spiegelung aufgehoben wurde, wird ein Raum dynamischer neuer Möglichkeiten eröffnet. Die neue Erde präsentiert und ermöglicht die Aufhebung der durch die Vergangenheit konstituierten Bedingungen.

Das Verhältnis eines Menschen zur Außenwelt wird in der Beziehung der einen Erde zur anderen ausgedrückt. Die Energie, die in die Außenwelt investiert wird, wird zurückgespielt. Man stellt die Überlegung an: Wird die andere Erde angegriffen, wird der Angriff einen selbst treffen. Hier schwingt sowohl ein „Behandle deinen Nächsten wie dich selbst“ als auch ein „You reap what you saw“ mit. Die Metapher des tickenden Geräusches des Astronauten im Weltraum spielt an das ständige Denken an den geschehen Unfall an. Das Geschehene kann nicht ausgeschaltet werden, doch es kann zur Musik werden, indem man es annimmt und sich damit arrangiert. Der Film inszeniert, wie sich der Mensch je nach Interpretation und Weltentwurf seine Beziehungen strikt und sein Verhalten ändert. Die gleiche Person, der Borrough einen schicksalsgewichtigen Hass widmet, wird von ihm aufgrund anderer Interpretationsparameter mit Begierde und Liebe ausgestattet. Daraus folgt, dass Vergebung kein Akt bestimmter Parameter ist, sondern subjektiv getroffener Entscheidung: Vergebung ist immer möglich, aber nicht durch Reinigungsgewalt erzwingbar. Interessanterweise hebt im Film der Akt der Vergebung auch die Vergangenheitsdetermination des Schicksals auf. Nur weil Borrough Willams verschont, kann er potentiell seine verstorbene Familie auf der neuen Erde wiedertreffen.

Another Earth. R.: Make Cahill. USA 2012.

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