Die Medikalisierung von Psychedelika – Ein Kommentar

Love was never meant to be contained.
Adyashanti

 

Über den Weg des erwiesenen Therapieerfolgs werden Psychedelika von einer zunehmenden Öffentlichkeit in einem neuen Licht wahrgenommen, das den diskreditierenden Propagandanebel der letzten Jahrzehnte langsam durchdringt. Einen großen Anteil haben daran MAPS, die mit 83 % Erfolg Kriegsveteranen von einer PTBS befreiten (mit Hilfe von MDMA) sowie sterbenskranken Menschen die Angst vor dem Tod nahmen (Psilocybin). Solange der medizinische Weg als trojanisches Pferd benutzt wird, um falsche Vorstellungen bezüglich dieser Substanzen zu verändern und ihre öffentliche Stellung zum Positiven zu verändern, ist er clever und sinnvoll. Es tauchen aber auch immer wieder Stimmen mit dem Standpunkt auf, eine psychedelische Erfahrung solle sich tatsächlich ausschließlich unter medizinisch-therapeutischer Aufsicht vollziehen. Egal ob man die Fokussierung auf Medikalisierung nur als ein taktisches Zugeständnis an das herrschende System begreift oder ganz hinter ihr steht – sie hat konkrete Auswirkungen. Form und Inhalt eines Diskurses beeinflussen die Vorstellung der Beteiligten in Bezug auf seinen Gegenstand. Er legt als regulierte sozialkommunikative Praxis fest, welche lebensweltliche Ordnung die richtige sei.

Die Konzentration des Entkriminalisierungsdiskurses auf Therapieerfolge nach rationalwissenschaftlichen Maßstäben bewirkt eine diskursive Verödung bezüglich dessen, was Psychedelika eigentlich zu bieten haben. Mit ihr geht eine unangemessene Trockenheit einher, eine dröge Rationalisierung des Phänomens ihrer opulenten Wirkung. Innerhalb dieses Diskurses werden die psychedelischen Substanzen funktionalisiert und nur für einen spezifischen Anwendungszweck bestimmt. Sie werden eingesetzt, um einen fest definierten Mangelzustand zu beheben. Die Verabreichungshoheit wird Medizinern und Therapeuten zugeschrieben, die eine streng westlich-rationale Ausbildung durchlaufen haben. Jedoch wird die thematische Einengung auf eine solche westliche-rationale (vermeintliche) Professionalisierung diesen Substanzen keineswegs gerecht.

Die Implikation der psychedelischen Erfahrung ist so tiefgehend, dass sie sich nicht rationalisieren lässt. Sie ist zu Therapiezwecken anwendbar, aber nicht darauf reduzierbar beziehungsweise ausschließlich dafür funktionalisierbar. Sie ist viel zu tiefgehend, mannigfaltig, unvorhersehbar im besten Sinne und transzendent. Anstatt einen Mangelzustand zu beheben, wie es das Ziel westlicher Medizin ist, sind Psychedelika im Idealfall in der Lage aufzuzeigen, dass es einen Mangel nie gegeben hat. Warum drehen wir den Spieß nicht um: Nicht die Psychedelika müssen in das vorherrschende Medizinsystem integriert werden, es ist das vorherrschende Medizinsystem, das sich psychedelische Weisheit aneignen sollte.

Die westliche mechanistische Medizin arbeitet innerhalb des dichotomen Paradigmas von Gesundheit und Krankheit. Es gilt gesund zu machen, wer krank ist. Was eine Krankheit ist, wird nicht nur im physiologischen, sondern auch im psychologisch-psychiatrischen Bereich eng abgesteckt. Wer eine bestimmte Prozentzahl an Symptomen nicht erfüllt, hat die ab diesem arbiträr angelegten Grenzwert angesetzte Krankheit nicht. Diese Konzeptualisierung von Leiden mag zu kommunikativen Zwecken dienlich sein, lässt sich in den Raum, den Psychedelika öffnen, jedoch nicht mitnehmen. Willkürliche menschliche Setzungen, die zu festen Definitionen und Konditionen geworden sind, sind genau das, was in der psychedelischen Erfahrung aufgehoben wird. Therapiebedürftigkeit ist in Deutschland eine rechtliche Frage. Das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz definiert in § 120  psychische Krankheit als „regelwidrigen Geisteszustand“. Klingt das nach einem System, das angemessen wäre, die Deutungshoheit zugestanden zu bekommen, wer eine psychedelische Erfahrung machen darf und wer nicht?

Das psychedelische Heilungspotential geht überhaupt erst aus der Herbeiführung eines unüblichen Geisteszustandes hervor. Der psychopathologische Krankheitsbegriff lässt sich innerhalb des psychedelischen Erfahrungshorizontes also nicht halten. Unklar ist er allemal. Psychisch-emotionale Missstände bringt das Leben in einer von Konkurrenz- und Leistungsdruck angetriebenen Gesellschaft unabwendbar mit sich. Sie ist durchdrungen von inhaltsleerer Sinnesüberreizung, narzisstischer Oberflächlichkeitsvergötzung, egozentrischen Abwertungsmechanismen, geistlosem Optimierungswahn und borniertem Gewinnstreben. Das System, das unser Zusammenleben strukturiert, entfremdet und diese Entfremdung betrifft zu unterschiedlichen Anteilen jeden. Wenn es kein richtiges Leben im falschen gibt, wie Adorno behauptet, ist in einer falschen Lebensumgebung zwangsläufig jeder seelisch verletzt und mutmaßlich traumatisiert. Das duale Schema krank/gesund ist hinfällig, wenn jeder psychopathologisch betroffen ist. In fast jedem Menschen finden sich energetische Blockaden, die in dem hochenergetischen Zustand, den Psychedelika vermitteln, unmittelbar bearbeitbar sind. Es bedarf keiner medizinischen Diagnose, um sowohl Bedarf als auch Bedürfnis nach einer Öffnung des Geistes und des Herzens zu haben.

Generell gibt es niemanden, der nicht von der psychedelischen Erfahrung profitieren könnte. Das heißt nicht, dass jeder jederzeit dafür bereit wäre. Es geht darum, dass ihre Tiefe und erkenntnistheoretische Konsequenz jedem ein Geschenk sein könnte, sofern er für sie bereit wäre. Das betrifft die Ebene der Sinne, die Ebene der Emotionen sowie vor allem die Ebene der Mystik und Spiritualität. Mit der temporären Aufhebung mentaler Konditionierungen öffnet sich der Bewusstseinsraum und wir können die Welt als das sehen, was sie wirklich ist: geistig. Wir haben die Möglichkeit, uns selbst zu erkennen – sowohl auf diversen relativen Ebenen, die uns vorher verschlossen waren, als auch auf der absoluten Ebene. Diese Erschließung der existentiell-spirituellen und letztendliche non-dualen Dimension ist vermutlich die wertvollste Offenbarung. Eine mystische Erfahrung hat nichts mit attributiver Pathologisierung der Medizin zu tun, sondern ist jedermanns Geburtsrecht. Mit der Einnahme eines Psychedelikums kann innerhalb von Minuten eine seinsgrundlegende Erfahrung induziert werden, die selbst Menschen, die 30 Jahre in einem Kloster meditieren, oft nicht zuteilwird. Psychedelika sind in diesem Zusammenhang weder eine Abkürzung noch ein Cheat, sondern – richtig angewendet – eine machtvolle Ergänzung zur Praxis der Selbsterforschung und Meditation.

Ein wesentlicher Faktor der psychedelischen Erfahrung ist Kreativität. Aufgrund der mit ihr einhergehenden Neuverknüpfung von Gehirnarealen ist ihr schöpferisches Potential schier unendlich. Sie öffnet den Geist für neue Sichtweisen und unbekannte Perspektiven. Dieser Aspekt betrifft nicht nur den Bereich der Kunst. Es gibt auch Wissenschaftler und Unternehmer, deren bahnbrechende Ideen in Zusammenhang mit der Einnahme von Psychedelika standen. Im Silicon Valley ist es heutzutage sogar üblich, mit Mikrodosen den Entwicklungsgeist zu fördern. Eine frische Brise kann ein Psychedelikum über jeden Lebensweg wehen. Inhalte des Alltags oder auch die gesamte Biographie können aus einer neuen Perspektive betrachtet werden. Selbst die alltäglichsten Dinge können wieder mit den unbeschwerten Augen eines Kleinkinds bestaunt werden. Phänomene der Natur sind durch die psychedelische Linse auf eine Art und Weise wahrnehmbar, wie sie dem Alltagsverstand nicht möglich ist. Das heißt nicht, dass man die unendliche Schönheit der Natur nicht auch nüchtern gründlich bewundern könne. Die psychedelisierten Form- und Farbenspiele haben jedoch einen ganz eigenen Reiz. Die Unbeflecktheit des Blicks, die die psychedelische Verankerung im Jetzt mit sich bringen kann, ist vielen Menschen zudem anderweitig nicht zugängig, weil ihre Sicht zwanghaft von Alltagsgedanken überlagert ist.

Dann gibt es noch den Ansatz, Psychedelika ausschließlich zu Freizeitzwecken nutzen. Man kann darüber diskutieren, ob er dem psychedelischen Reservoir angemessen ist oder nicht, per se verwerflich ist er jedenfalls nicht. Diese Substanzen haben unter entsprechenden Bedingungen ein konkretes Bereicherungspotential und können diverse Aktivitäten wie zum Beispiel Kinogänge, Musikveranstaltungen, Sport oder Sex zu noch besondereren Erfahrungen machen, als sie eh schon sind. Es gibt kein Limit. Damit ist nicht gemeint, dass man diese Substanzen möglichst oft einnehmen sollte. Im Gegenteil: Weniger ist mehr. Die für eine richtige Anwendung nötige Aufklärung kann jedoch nicht Aufgabe der Schulmedizin sein. Nicht nur die aktuelle gesetzliche Vorenthaltung, sondern auch eine etwaig angestrebte Beschränkung der Nutzung auf westlich-medizinale Mechanik ist ein Verbrechen an der Freiheit des Bewusstseins und der Selbstentfaltung.

 

Eine Antwort

  1. Michel sagt:

    Danke, toller Beitrag!!

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